«Beuteschema» und Frühlingsputz in der Liebe

Neustart

Es müsste wieder wärmer werden
sagen die Menschen
in ihren Kellern und Schneckenhäuser.
Und lichter auch,
hoffen sie.

Es müsste wieder leerer werden
nach den Wintersammlungen
und gefassten Vorsätzen.
Und überschaubarer auch,
denken sie.

Es müsste wieder beschnitten werden,
was belastet,
und nicht mehr trägt.
Und verabschiedet werden auch,
träumen sie.

Neubeginn
ist nur möglich
nach einem Abschied.
wissen die Jahrzeiten.
Schon immer.
Und immer wieder neu.

-- Wolfgang Weigand

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Um den 21. März herum sind der lichte Tag und die dunkle Nacht genau gleich lang. Tagundnachtgleiche oder Äquinoktium wird dieser Tag genannt. Wir spüren Neugierde, Ungeduld, Vorfreude, Lebendigkeit, Naturverbundenheit und haben wieder Lust auf den Garten und auf Begegnungen im Freien. Und möglicherweise sogar auf einen Fensterputz!

Vom Frühlingsputz in der Liebe

Je stärker der Lichteinfall, umso deutlicher erkennen wir den Schmutz, die Reste des Vergangenen, von denen wir die Scheiben befreien möchten, metaphorisch gesprochen: wohl auch von bisherigen Sichtweisen. Das Licht des Frühlings lädt ein, genauer hinzuschauen, aufzuräumen, Bisheriges zu hinterfragen und sich vom Staub der Altlasten zu befreien. Unter Umständen gibt es sogar die Kraft und den Schwung für einen Frühlingsputz in der Liebe und in unseren Beziehungen. Vielleicht können wir uns und die Welt, wie sie uns erscheint, dann wieder neu entdecken!

Annahme

Weil du
du bist
und ich
ich
haben wir uns gefunden

Unsere Geschichte
wäre sonst niemals
geschrieben worden.

Kein Autor dieser Welt
hätte so viel Fantasie gehabt.

-- Wolfgang Weigand

Das Beuteschema …

In meinen Seminaren für Paare und Liebe-Suchende geht es immer wieder um die Frage, von welchen Menschen wir uns angezogen fühlen bzw. was die anfängliche Anziehungskraft in der Beziehung war. Wir haben Kriterien dafür, wen wir attraktiv finden: Aussehen, Statur, Mimik und Gestik, Status, Geruch, Kommunikationsverhalten, Sexappeal, Präferenzen, Wertvorstellungen und vieles mehr. Psychologen nennen die Summe dieser Attraktivitätskriterien «Beuteschema». Der Arzt Stefan Woinoff geht in seinem Buch «Überlisten Sie Ihr Beuteschema» davon aus, dass dieses eine starke archaische Konnotation hat, dass sich also das Paarungsverhalten über Hunderttausende von Jahren bei uns genetisch eingebrannt habe. Sind wir also unfrei oder einfach so geprägt? Ist dies ein Grund dafür, dass wir immer wieder dieselben Menschen anziehen, die uns in der tiefsten Seele nicht guttun, oder dass wir in unserer Partnerschaft immer wieder in dieselben Muster verfallen, die wir gerne hinter uns lassen würden?

Das Beuteschema hat meines Erachtens jedoch nicht nur eine genetische und kulturelle, sondern auch eine biografische Dimension, in der sich Verletzungen und «Abspaltungen», aber auch Reifungsprozesse und persönliche Entwicklungen zeigen. Und es geht natürlich auch um Resonanz: ich ziehe unbewusst Menschen an mit ähnlichen Fragen, inneren «Baustellen» oder Lebenssituationen, die wiederum meiner «Bedürftigkeit» entgegenkommen. Eckhart Tolle spricht an dieser Stelle von einem (unbewussten) «Schmerzkörper», der im Aussen, also beim Partner oder grundsätzlich bei einem Gegenüber, nach der richtigen «Nahrung» sucht, auch wenn diese destruktiv ist oder eben nicht guttut.

… und wie wir es überlisten

Wie überliste ich mein Beuteschema? Ich wende mich zum Beispiel für einen Tag oder eine Woche einmal aktiv Menschen zu, die ich auf den ersten Blick nicht als sympathisch oder spannend einschätze, und achte darauf, was sich an Begegnungen entwickelt. Oder ich breche mit meinem Partner oder meiner Freundin einmal bewusst aus der Komfortzone und aus Gewohnheiten aus, vor allem dann, wenn mich etwas nervt oder negativ berührt. Oder ich versuche, das Potenzial und die Güte in meinem Gegenüber oder in einer gegenteiligen Meinung zu sehen, den und die Andere möglicherweise «dahin zu lieben», wo und wie ich ihn oder sie mir wünsche.

«Ich möchte mit dir das machen, was der Frühling mit den Kirschblüten macht.», so umschreibt Pablo Neruda diesen Prozess. Er ermöglicht, dass Menschen an unserer Seite bleiben, dass auch wir Heimat und Anker für andere werden können. Nach den Jahren der Polarisierungen, die hinter uns liegen, ist es wohl um so wichtiger, Prioritäten wieder neu zu gewichten und dem Blühenden und Bleibenden zu vertrauen, wie es auch der 1947 mit 26 Jahren so früh verstorbene Wolfgang Borchert einmal formulierte:
„Wir sind voller Begegnungen, Begegnungen ohne Dauer und ohne Abschied, wie die Sterne. Sie nähern sich, stehen Lichtsekunden nebeneinander entfernen sich wieder: ohne Spur, ohne Bindung, ohne Abschied. Aber manchmal bleiben sie auch.»

Ja, manchmal bleiben Menschen auch, vor allem, wenn wir uns gegenseitig zum Blühen bringen. Das ist ein grosses Geschenk der Liebe - in Beziehungen, aber auch in unseren Freundschaften und in Meinungsverschiedenheiten bei den grossen politischen Themen dieser Tage.

Inspiration durch den Frühling …

«Das Schöne am Frühling ist, dass er immer dann kommt, wenn man ihn am dringendsten braucht», wusste schon Jean Paul. Und ein Spontispruch verrät eine humorvolle Bescheidenheit in den Frühlingszielen:

«Ich fühle mich,
als könnte ich Bäume ausreissen.
Also kleine Bäume.
Vielleicht Bambus.
Oder Blumen.
Na gut, Gras.
Gras geht…»


Im Frühling können nicht nur die Fenster geputzt und Winter- und Sommersachen neu einsortiert werden, sondern manchmal gibt es auch innere Aufräumaktionen: was brauche ich noch, was nicht mehr? Wovon will ich mich lösen? Was möchte ich wieder leben, was soll (aus bisherigen «Ruinen») neu auferstehen? Vielleicht gehört auch das Hinterfragen des Beuteschemas bzw. des bisherigen Verhaltens in Beziehungen dazu, um neue Dynamiken oder eine neue Blüte zu ermöglichen?

… und durch die Auferstehung

Ostern ist das Fest der «Auferstehung». Religiös-spirituell gesprochen: der Tod ist überwunden, er hat nicht mehr das letzte endgültige Wort. Psychologisch betrachtet: Auferstehung ist eine Umschreibung für jene Wachstumsprozesse, in denen bisherige Lebensformen absterben und neue Lebensmöglichkeiten sichtbar werden. So könnte zum Beispiel eine überwundene Lebenskrise (ein «langer dunkler Winter») als Durchgang durch den Tod und als Erwachen zu einem neuen Leben(sbewusstsein) gedeutet werden.

Für die kommenden Oster-Festtage wünsche ich mir, dir, euch und Ihnen nährende Begegnungen, Mut zum Aufräumen und Hinterfragen, und ein neues Leben für das all das, was in der letzten Zeit etwas leblos oder unbeachtet geblieben ist. Eine Auferstehung zu neuer Lebendigkeit …